Einblicke in die Ausbildung unserer Bauernhoftiere für die tiergestützte Intervention

In dieser kleinen Serie nehme ich dich mit hinter die Kulissen: Du erfährst Schritt für Schritt, wie wir unsere jungen Ziegen liebevoll und fachlich fundiert auf ihre späteren Einsätze in der tiergestützten Intervention vorbereiten. Und auf welche Grundsätze wir dabei besonders achten!

Teil 1: Sozialisation – Vertrauen entsteht in den ersten Tagen

„Zähmen bedeutet: sich vertraut machen …

Du wirst für mich einzig sein in der Welt.
Ich werde für dich einzig sein in der Welt
.“


– Antoine de Saint-Exupéry, Der kleine Prinz

Ziegennachwuchs auf dem Hof 🐐

Anfang Juni haben unsere Zwergziegen Toffy, Josy und Gipsy uns reichlich mit Nachwuchs beschenkt. Toffy und Gipsy waren am Tag der Geburt schon morgens ganz aufgeregt und zuwendungsbedürftig und blieben lieber im sicheren Stall. Dank vieler Kontrollgänge konnten wir die Geburten live miterleben – immer wieder ein Wunder!

Ganz anders Josy: Sie ließ sich gar nichts anmerken und war voller Elan mit den Schafen auf der Weide unterwegs. Als wir sie abends in den Stall holen wollten, hatte sie ganz selbstständig Zwillinge geboren.

Jetzt haben wir fünf süße Zicklein in der Ausbildung zum zukünftigen Co-Therapeuten.🧡

Sozialisation: Beziehungspflege von Anfang an

Die Grundausbildung der Bauernhoftiere beginnt mit einer fachgerechten Sozialisation. Darunter versteht man die Bindung der Jungtiere an ihre Hauptbezugspersonen. Auf unserem Hof übernehmen das mein Sohn Josua und ich. Das heißt für uns:

Viel Zeit im Stall einplanen und eine vertrauensvolle Mensch-Ziege-Beziehung aufbauen.

In den ersten Lebenstagen geht es ruhig und achtsam zu. Danach dürfen die Jungtiere Menschen verschiedenen Alters kennenlernen. Wir laden Nachbarkinder ein und treffen uns mit Freund*innen im Stall. Die Tierkinder dürfen dabei liebevoll berührt und gestreichelt werden. So lernen sie ganz nebenbei: Menschen riechen unterschiedlich, berühren unterschiedlich, bewegen sich unterschiedlich – und all das gehört dazu.

Warum wir auf das Hochnehmen verzichten

Anders als bei vielen anderen Jungtieren vermeiden wir es, die Zicklein zu halten oder auf den Schoß zu nehmen. Warum? Weil wir nicht wollen, dass sie später an Menschen hochklettern – ein Verhalten, das insbesondere Kindern mit Handicap Angst machen kann.

Deshalb beobachten wir genau, wo und wie Nähe entstehen darf – ohne Aufdringlichkeit.

Nach etwa zwei Wochen beginnen wir, die Jungtiere gezielt mit ungewohnten Situationen zu konfrontieren: Lärm, plötzliche Bewegungen, ein lauter Freudenschrei. So können sie lernen, auch dann gelassen zu bleiben, wenn ein Kind sich unvorhersehbar verhält.

Artgerechte Ausbildung bedeutet mehr als Menschenkontakt

(Und warum wir keine Flaschenaufzuchten ausbilden)

Ein zentraler Grundsatz bei der tiergestützten Arbeit mit Bauernhoftieren ist für uns: Artgerechte Ausbildung statt Flaschenaufzucht. Wir streben eine Doppelbindung an – das heißt, die Tiere sollen sowohl Bindung zum Sozialpartner Menschen als auch zu ihren Artgenossen aufbauen können.

Denn nur in ihrer Herde lernen die Zicklein, was es heißt, Ziege zu sein: Wie man sich behauptet, wie man Rücksicht nimmt, wie man Konflikte löst. Denn Sozialkompetenz ist nicht nur bei uns Menschen gefragt – sondern auch in der Ziegenherde.

So werden die Bedürfnisse unserer Zicklein geachtet und es entsteht ein starkes Fundament für ein glückliches Ziegenleben sowie die tiergestützte Arbeit.

Teil 2: Habituation – Ziegen lernen den Therapiealltag kennen

Nun sind unsere fünf Zicklein schon über vierzehn Tage alt und es macht viel Freude, ihnen beim Wachsen zuzusehen! 🧡 

Sie haben schon ganz viele unterschiedliche Menschen kennenlernen dürfen und täglich vergrößern sie ihren Radius im Stall und auf der Weide. Nichts ist vor ihnen sicher. Alles wird erkundet. Sie erklimmen jeden Baumstamm und jeden Gegenstand. Gerne klettern sie auch auf ihren Müttern herum. Besonders Böcklein Theo würde das auch gerne bei mir – seiner menschlichen Vertrauensperson – machen. Doch das kann ich nicht erlauben. Denn spätestens, wenn er groß und stark ist, darf er ja nicht auf den Kindern herumturnen oder auf einen Rollstuhl springen. Das üben wir jetzt ganz behutsam.

Rangordnung und Grenzen: Ziegenkinder brauchen klare Regeln

Schon jetzt geht es unter den Ziegenjungs etwas ruppig zu. Sie schieben sich gegenseitig weg und stoßen mit den Köpfen zusammen, um herauszufinden, wer der Stärkste ist. Zwischen Mensch und Tier sind solche „Machtkämpfe“ jedoch auf keinen Fall erwünscht.

✅ Daher leiten wir auch dieses natürliche Verhalten direkt in geeignete Bahnen und setzen einen sicheren Rahmen: Denn spätestens wenn die Zicklein zu Böcken mit Hörnern herangewachsen sind, kann das Schieben und Stoßen die Klient*innen ängstigen oder gar verletzen. Daher leite ich die Besucher*innen an, unsere Zicklein nur am Hals oder Rücken zu streicheln.

❌ Denn ein Anfassen an der Stirn könnten sie als Angriffssignal falsch verstehen und mit uns rangeln.

Im Vergleich zu den Lämmern ist die Ausbildung von fünf Ziegenjungen übrigens sehr herausfordernd. Dafür bin ich sicher, dass die gelehrigen Tiere die nächste „Ausbildungsphase“ – die sogenannte Habituation – leicht meistern.

Ziegen an Hilfsmittel gewöhnen: Erste Schritte der Habituation

Auf dem Weg zum tierischen Co-Therapeuten lernen die Zicklein aber noch viel mehr: Bei der Habituation macht die Bezugsperson die Tiere mit neuen Orten und Gegenständen vertraut. Behutsam führen wir unsere Zicklein an Situationen und Aktivitäten heran, die für sie später als tierische Co-Therapeuten zum Alltag gehören werden.

Da wir mit Menschen mit unterschiedlichen Handicaps arbeiten, sind dies bei uns Rollstühle, Rollatoren, Krücken sowie verschiedene Stütz- und Lagerungskissen.

Die ersten Tage legen wir die Hilfsmittel einfach nur in den Stall oder auf die Weide. So kann jedes Zicklein die fremden Gegenstände in seinem eigenen Tempo kennenlernen. Der forsche Theo traut sich meist als erster.

✅ Reagieren die Tiere nicht mehr darauf, haben sie sich erfolgreich an Rollstuhl und Co. gewöhnt. 

Positive Verknüpfung: Lagerungskissen und Streicheleinheiten

In den nächsten Tagen setze ich mich auf ein Lagerungskissen und streichle die Zicklein, wenn sie sich zu mir gesellen. Dadurch verknüpfen sie den Gegenstand (das Lagerungskissen) mit streichelnden Händen – also mit etwas Schönem.

Davon profitieren später insbesondere unsere immobilen Klient*innen: Die Ziegen kommen dann aus eigenem Antrieb zu ihnen und lassen sich streicheln.

Ziegen als Bewegungstrainer: Früh übt sich!

Zusätzlich gewöhnen wir unsere Zicklein auch an Hilfsmittel wie Geschirr und Halsbänder, damit wir unsere praktischen Übungen mit den Klient*innen später vielfältiger gestalten können.

Ziegen eignen sich wunderbar als Fitnesstrainer: Ruckzuck lassen sich die Tiere aktivieren, über Wippen oder Hängebrücken zu balancieren oder einen Parcours zu durchlaufen.

✅ Das motiviert Jung und Alt, sich zu bewegen – mit einem Lächeln im Gesicht und einem Zicklein an der Seite.

Teil 3: Weiterführende Ausbildung – Immer am Ball bleiben

In der Zwischenzeit sind unsere fünf Zicklein schon über acht Wochen alt.

Sie kommen auf Zuruf zu uns auf das Lagerungskissen und lieben es, dort gestreichelt zu werden. Auch das Geschirr können wir ihnen inzwischen wie selbstverständlich an- und ausziehen.

Die Zicklein lernen schnell, behalten jedoch ihren eigenen Kopf. Besonders übermütig oder aus unserer Sicht „schwer erziehbar“ ist Theo. Anstatt sich vorsichtig zu nähern, stürmt er herbei und beknabbert alles – Schuhe, Haare oder gar „Menschenfell“. Mitunter kann diese mündliche Kontaktaufnahme auch mal zwicken.

Deshalb müssen wir ihm immer wieder und konsequent klare Grenzen setzen – laut und deutlich „Nein“ sagen.

Eigenwilligkeit fordert – aber kann auch fördern

Was die Ziegen später in der tiergestützten Arbeit dürfen und was nicht, ist ein schmaler Grat. Gerade ihre Eigenwilligkeit macht sie oftmals zu guten Trainingspartnern für Menschen mit geringem Durchsetzungsvermögen.

Wenn Theo später als Ziegenbock zum Beispiel Schnürsenkel aufmacht oder andere unerwünschte Dinge tut, müssen die Klientinnen klar „Stopp“ oder „Nein“ sagen, um sich durchzusetzen. Besucher*innen, die selbst immer wieder Grenzen überschreiten, bekommen bei Ziegen ihr störendes Verhalten gespiegelt und können es reflektieren.

Daher erfordert Ziegenerziehung viel Fingerspitzengefühl – und hört niemals auf. Auch beim tiergestützten Setting mit Ziegen müssen wir immer wachsam bleiben.

Lernen, was wirklich wichtig ist

Das Training gelingt am besten, wenn wir den Tieren Dinge beibringen, die sie sowieso gerne lernen möchten. Das heißt:

Für den „Lehrplan“ berücksichtigen wir immer die Vorlieben der jeweiligen Tierart.

Unsere fünf Zicklein sind sehr bewegungsfreudig und lieben es zu klettern. Deshalb wollen wir ihnen in den nächsten Wochen beibringen, mit uns spazieren und durch verschiedene Kletterparcours zu gehen.

Dazu sollten sie wie Hunde leinenführig sein. Um das zu üben, leinen wir sie am Geschirr an und laufen mit ihnen:

❌ Geht das Zicklein weg, zieht es an der Leine.

✅ Bleibt es bei uns, bleibt auch die Leine locker.

Nach und nach lernen die Zicklein, im Gleichschritt mit uns zu gehen. So können wir später z. B. adipöse Klient*innen oder Menschen mit motorischen Beeinträchtigungen in Bewegung bringen – und ihnen schöne Erfolgserlebnisse ermöglichen.

Junge Ziege mit Führgeschirr und Leine steht auf der Wiese

Keine „Kunststücke“ für den Showeffekt

Wichtig ist uns, den Zicklein keine zirkusähnlichen Kunststücke beizubringen, sondern Dinge, die ihnen wirklich Freude bereiten.

„Tricks“ wie sich im Kreis drehen oder einen Knicks machen gehören nicht zu den Dingen, die unsere Zicklein lernen möchten.

Denn beim Lernen werden nicht nur Inhalte im Gehirn gespeichert, sondern auch die Gefühle, die während des Lernprozesses entstehen. Nur wenn unsere Zicklein sinnvoll angeleitet werden, die Aufgaben passend sind und wir sie nicht über- oder unterfordern, macht ihnen das Training Spaß – und das Lernen wird erfolgreich.

Lob statt Leckerlis

Übrigens: Wir kommen beim Training ohne Leckerlis aus. Auch bei der Kontaktaufnahme erhalten die Tiere kein Futter. Sonst besteht die Gefahr, dass die Tiere später nur zu den Klient*innen gehen, um sich Futter abzuholen und sich abwenden, wenn nichts da ist.

Stattdessen loben und streicheln wir unsere Tiere, wenn sie zu uns kommen.

Gerade bei der tiergestützten Arbeit brauchen wir Ziegen, die Spaß an den Interaktionen und Aufgaben mit uns und unseren Klient*innen haben.

Und natürlich dürfen auch wir selbst immer weiter dazu lernen…

Du möchtest das hautnah erleben?

Komm zu unserem nächsten Infotag auf dem Bauernhof! Alle Infos findest du hier:

Du möchtest tiergestützt arbeiten?

Damit tiergestützte Arbeit für alle Beteiligten sicher und sinnvoll ist, braucht es Fachwissen und Respekt für die Bedürfnisse von Mensch und Tier.

Unsere berufsbegleitende Weiterbildung ist genau darauf ausgerichtet, dir dieses umfangreiche Wissen und die praktische Erfahrung zu vermitteln. Sie unterstützt dich dabei, deinen eigenen Weg in der tiergestützten Arbeit zu finden und ein individuelles, wirkungsvolles Konzept mit Bauernhoftieren zu entwickeln – passend zu deinen Stärken und Zielen.